Interview mit Hakan Akay (deutsch)

Deutsch-Kurdisches Kulturinstitut gegründet

Nach einer Vorbereitungszeit von über einem Jahr wurden alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt und das Deutsch-Kurdische Kulturinstitut mit Sitz in Düsseldorf wurde als gemeinnützige GmbH gegründet. Das Kulturinstitut hat nun seine künstlerisch-kulturelle Arbeit aufgenommen. 

Institutsdirektor Hakan Akay erklärt anlässlich der Gründung: „Wir befinden uns im Zeitalter der digitalen Zivilisation. Es ist ganz natürlich, dass nun einige Normen und Werte für neue Normen und Werte weichen werden. Die Frage ist, ob wir diesen Wandel lediglich kritisch beobachten, passiv bleiben, oder ob wir als aktive Akteure die Möglichkeiten und Chancen dieses Zeitalters insbesondere für unseren Bereich, für die Kunst und Kultur nutzen, ohne die Substanz, den Kern unserer Arbeit zu verlieren. Das ist die zentrale Frage, vor der wir stehen.“

Wir haben mit Hakan Akay über die Pläne des Deutsch-Kurdischen Kulturinstituts gesprochen.


Herr Akay, Sie sind nicht nur Direktor des Kulturinstituts, sondern auch der Gründer. Was ist Ihre persönliche Motivation dabei?

Ich vergleiche das, was wir heute über die kurdische Kultur und Kunst wissen, mit dem Wissen des griechischen Philosophen Demokrit aus der Antike vor 2500 über das Atom. Demokrit hatte den kleinsten Teil in der Natur als Atomos – unteilbar bezeichnet. Das Wissen darüber, dass auch das Atom teilbar ist, aus Protonen, Neutronen und Elektronen besteht, dass auch das Proton aus Teilen besteht, ist erst 110 bis 120 Jahre alt. Damit will ich sagen, dass alles, was wir über die Geschichte, die Kultur und Kunst der Kurden wissen, gehört und erfahren haben, und auch das, was wir selbst erschaffen haben, dem Niveau des Wissens von Demokrit vor 2500 Jahren über das Atom entspricht. Wenn ich mir jedoch vergegenwärtige, welche sozial und kulturell harten, schwierigen Zeiten unser Volk durchlebt hat, um diesen Wissensstand zu erreichen, wenn ich an die weltpolitischen Machtinteressen denke, dann ist unser Wissen genauso existenziell wichtig und wertvoll wie das Wissen von Demokrit über das Atomos. 

Ich denke, dass unsere eigentliche Sache, genauer gesagt unsere „neue Ära“, jetzt beginnt. Wir müssen zu den Bestandteilen unserer Kultur und Kunst durchdringen und die spezifischen Strukturen und Entwicklungen in jedem Bereich untersuchen und analysieren. Wenn es uns gelingt, die neuen Erkenntnisse, die wir in diesem Prozess erlangen, den jungen Generationen zu vermitteln, wenn die neuen Erkenntnisse zu Grundlagen für weitergehende Forschungen werden und gleichzeitig in unsere künstlerische Arbeit Eingang finden, dann werden wir, denke ich, eine wahre Renaissance und ein Jahrhundert der kurdischen Aufklärung erleben. 

Sie haben viele Jahre aktiv als Musikproduzent in der Musikbranche gearbeitet, sind einer der wichtigen Akteure dort. Wie wird sich diese Erfahrung auf Ihre Arbeit im Institut auswirken?

In den vergangenen zwanzig Jahren habe ich als Musikproduzent, Tonmeister und auch als Musiker mit vielen Künstlern zusammengearbeitet und mit ihnen insgesamt 200 einzigartige Musikalben produziert. Ich habe kurdische und europäische Musiker in Musikgruppen zusammengebracht und in vielen Ländern und Städten unzählige Konzerte, multikulturelle Veranstaltungen und Musikfestivals entwickelt und organisiert. Gleichzeitig habe ich beim Musikverlag Pel Records und im Rûpel Verlag in leitender Position gearbeitet und dabei sowohl Managementerfahrungen gesammelt, als auch die Möglichkeit gehabt, einen genauen Einblick in die Musikindustrie zu bekommen und auch die Welt der kurdischen Literatur aus verschiedenen Perspektiven genauer kennenzulernen.

Die Idee zu diesem Institut ist beinahe zehn Jahre gereift. Hier kann ich meine in zwanzig Jahren gesammelten Erfahrungen, mein Wissen und meine Netzwerke einbringen und durch die Begegnung mit den kulturellen und künstlerischen Werten der europäischen Gesellschaften in denen wir leben, allen voran in Deutschland, die Kunst und Kultur auf eine höhere Ebene tragen. Das ist das Ziel des Kulturinstituts.

Das Institut trägt den Namen Deutsch-Kurdisches Kulturinstitut. Warum Deutsch-Kurdisch? 

Uns liegen zwar keine nach wissenschaftlichen Standards durchgeführten sozio-kulturellen Forschungen vor, jedoch wird geschätzt, dass in Deutschland über 1,5 Millionen Kurdinnen und Kurden leben. Übrigens wäre dieses Thema ein Arbeitsfeld des Instituts. Wenn wir die deutschsprachigen Länder Österreich, Schweiz und Lichtenstein und teilweise auch Belgien mit berücksichtigen, sehen wir, dass es eine große kurdischstämmige Bevölkerungsgruppe gibt, deren Alltagssprache Deutsch ist. 

Es gibt beispielsweise zehntausende kurdische Kinder, die in Deutschland geboren werden und hier aufwachsen. Ich habe selbst beobachtet, dass sie auf Nachfrage sagen: „Ich bin Deutsche bzw. Deutscher, aber meine Eltern sind Kurden“. Wir haben also eine deutsche und eine kurdische Seite, eine englische und eine kurdische Seite. Diese Beispiele können wir fortsetzen. 

Hinzu kommt, dass unsere Sprachen zur indo-germanischen Sprachfamilie gehören und unsere kulturellen Identitäten miteinander verwandt sind, dass Kurden und Deutsche eigentlich viele Gemeinsamkeiten haben. Insofern ist die Definition „Deutsch-Kurdisch“ im Namen des Instituts die Beschreibung unserer tatsächlich existierenden Identität.

Mein Bruder Soydan Akay, dessen Buch „Wüstenblumen – Ein Essay über die hebräische Geschichte“ kürzlich erschienen ist, hat den Begriff des Zoroastrismus und die Wirkung des Ostens bei den griechischen Philosophen der Antike sowie insbesondere bei Hegel und Nietzsche untersucht. Sein Resümee lautete: „Eigentlich ist Europa unser Kind“. Diese Feststellung, die ich bisher nicht gehört hatte, empfand ich als unglaublich positiv. 

Die Begriffe „Diaspora“ oder „Exil“ hingegen tragen für mich eine negative Bedeutung, sie dienen spaltenden, abwehrenden, diskriminierenden Zwecken. Es ist schlicht nicht möglich, mit diesen und ähnlichen Begriffen unsere gelebte Realität in Europa zu beschreiben. Dieses Land ist mittlerweile unser Land und wir sind keine Gäste hier. Aus dieser Perspektive betrachtet ist es außerordentlich wichtig, dass die Menschen aus Kurdistan, die mittlerweile fast überall auf der Welt leben, kulturelle Bande zu ihren neuen Heimaten knüpfen, tiefe kulturelle Verbindungen eingehen und damit ihren Geist bereichern. 

Können Sie uns von den Zielen des Instituts erzählen? Was möchten Sie umsetzen? 

Das Institut hat in vielen Gebieten wichtige und anspruchsvolle Ziele. Das zentrale Element unserer kulturellen und künstlerischen Arbeit wird sicherlich die Musik sein. Ich möchte Ihnen einige Beispiele nennen. 

  • Es wurden und werden viele Promotions- und Masterarbeiten, Untersuchungen, Analysen und Kritiken über kurdische Musik geschrieben. Diese möchten wir sammeln, vom Deutschen ins Kurdische und umgekehrt übersetzen und dafür sorgen, dass diese Arbeiten bekannt und verstanden werden. 
  • Wir möchten die musikalischen Entwicklungen anderer Volksgruppen in Deutschland und in anderen Ländern analysieren und Modelle und Ressourcen schaffen, die die Entwicklung der kurdischen Musik fördern können, Ressourcen, die die Entstehung eines kurdischen Musikinstituts oder einer kurdischen Musikakademie fördern können. 
  • Wir haben vor, eine Musikbibliothek und ein Musikarchiv aufzubauen.
  • Ein weiteres wichtiges Ziel sind Recherchen zu den für die kurdische Musik sehr wichtigen Quellen, Personen und Künstlern von der Geschichte bis zur Gegenwart. Das Institut wird bspw. ihren Leben gewidmete Veranstaltungen durchführen oder Filmdokumentationen über sie machen. 
  • Mit Musikfestivals und in Kooperation mit anderen Einrichtungen organisierten Veranstaltungen möchten wir sowohl unser Kulturinstitut bekannt machen, als auch die deutsche Kunst und Kultur besser kennenlernen, und dadurch die Idee von einer gemeinsamen Welt entwickeln und stärken.
  • Der für uns geradezu lebenswichtige Bereich ist der, der Kinder und Jugendliche betrifft. Wir haben beinahe keine Quellen, aus denen wir unseren Kindern und Jugendlichen unsere eigene Kultur vermitteln können. Bei den vorhandenen Quellen wiederum wurden weder die Kinderpädagogik, noch die Kinderpsychologie berücksichtigt. Die sozialen und politischen Umstände und Repressionen und auch die massiven Fluchterfahrungen, die die Kurden durchleben, haben vor allem bei den Kindern furchtbare Verwüstungen angerichtet. Mit Werken, die immer nur Leid, Trauer und Tragödien thematisieren wird es uns nicht gelingen, unsere Kinder und Jugendlichen dazu zu bringen, diese Kultur zu lieben und sich für diese Kultur einzusetzen. Aus diesem Grund sind Hörbücher mit Kindergeschichten, Kinderlieder, Kinderchöre, in denen kurdisch-deutsche Kinder gemeinsam singen sowie gemeinsame Veranstaltungen für Kinder Hauptarbeitsbereiche des Instituts.
  • Wir möchten die kurdischen Künstlerinnen und Künstler bei der Produktion von Alben und bei ihren künstlerischen Arbeiten materiell und ideell unterstützen, dabei möchten wir insbesondere junge Künstler fördern. 
  • Über die Webseite des Kulturinstituts und über Social-Media-Plattformen möchten wir ein Netzwerk schaffen, über das kurdische Künstler und Musiker weltweit erreicht werden können und das ihre künstlerischen Werke international bekannt macht.
  • Darüber hinaus möchten wir Künstlerinnen und Künstler über Verwertungsrechte und Verträge aufklären und ihnen rechtlichen Beistand anbieten.

Zusätzlich dazu können noch die folgenden Ziele und Zwecke genannt werden:

  • Wir werden kurdischsprachige und deutschsprachige Literatur und künstlerische Werke in die jeweils andere Sprache übersetzen und gemeinsame Lesungen organisieren.
  • Wir möchten Beziehungen zu den Kunst- und Kulturabteilungen von Stiftungen, Instituten und Universitäten aufbauen.
  • Desweiteren möchten wir eine Datenbank der kurdischen Künstlerinnen und Künstler in Deutschland aufbauen, eine Art kulturelle und künstlerische Landkarte. Dafür möchten wir mit deutschen Institutionen zusammenarbeiten. Über die sozialen Medien sollen alle Altersgruppen erreicht werden. Wir möchten, dass damit die kurdische Realität in Deutschland abgebildet und besser verstanden wird.

Über die Webseite des Instituts www.d-k-k-i.de können weitere Informationen über die Arbeiten des Instituts erlangt werden. 

Es gibt außer dem Archiv des Erivan Radios keine umfassenden Musikarchive der Kurden. Wird das Institut in diesem Bereich arbeiten?

Ja, das ist ein sehr wichtiger Arbeitsbereich und mit einer der wichtigen Gründe für die Gründung des Instituts. In den vergangenen Jahren wurden im Bereich des Archivaufbaus wertvolle Schritte unternommen. Allerdings hatten diejenigen, die diese Arbeiten durchgeführt haben, nur begrenzte Möglichkeiten und konnten deswegen nur teilweise erfolgreich sein. Es gibt viele geschätzte Persönlichkeiten, die wertvolle Quellen in ihren persönlichen Sammlungen haben, entweder weil sie sie für sich behalten und schützen möchten, oder weil es bisher kein geeignetes Archiv gab, dem sie ihre Sammlungen hätten anvertrauen können. Diese Sammler, oftmals selbst Schriftsteller oder Künstler, bitten wir uns ihre Archive und ihre Sammlungen zu überlassen, damit wir unsere Kultur und unsere Kulturgüter den nachfolgenden Generationen zugänglich machen können. Wir möchten Veranstaltungen durchführen, um die gespendeten Sammlungen zu präsentieren und um die Sammler zu ehren.

Im Namen des Instituts rufe ich diejenigen, die Archivierungsarbeiten durchführen bzw. durchführen möchten auf, unter dem Dach des Instituts mit uns zusammenzuarbeiten, damit wir ihnen materiell und ideell Ressourcen anbieten können und damit wir ihre Arbeiten auf nationalen und internationalen Plattformen vorstellen können. 

Wir arbeiten an einem Projekt für ein modernes kurdisches Musikarchiv. Für dieses Archiv möchten wir die schriftlichen und audio-visuellen Medien sammeln und mit moderner Technik ein nutzerfreundliches kurdisches Musikarchiv aufbauen, das sowohl von Künstlerinnen und Künstlern, als auch von Kunst- und Musikschulen und Hochschulen genutzt werden kann. 

Im Rahmen dieses Projektes werden wir mehrsprachige Videotrailer herstellen, in denen wir alle, insbesondere die Kurdinnen und Kurden in Europa, die in den vergangenen Jahren unser Land besucht haben bitten, und Fotografien, alte Musikkassetten, Videos – also alle Musik- und Tonaufnahmen die sie haben, zukommen zu lassen. Die Einzelheiten zu diesem Projekt werden wir in den Videotrailern erläutern. 

Sie hatten von einem Beirat des Instituts gesprochen.

Ja, wir haben einen sehr wertvollen Beirat von Experten. Es sind deutsche und niederländische Kulturwissenschaftler, die über die kurdische Musik promoviert haben, Archivfachleute im Bereich der kurdischen Folklore und Literatur, und Musikfachleute, die sich mit den Tonarten und Musiktheorien des Nahen Ostens auskennen. Sehr bald werden wir den Beirat auf unserer Webseite und in unseren social-media Plattformen vorstellen. 

Wir wissen, dass es überall auf der Welt Akademiker gibt, die zur kurdischen Kunst und Kultur geforscht haben. Wir streben an, sehr bald schon Kommunikationsnetzwerke für diese Akademiker aufzubauen.


Hakan Akay

Hakan Akay wurde 1973 in Varto geboren und lebt seit 1996 in Deutschland. Er studierte 1997 bis 1999 Soziologie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. 1999 begann er eine Ausbildung zum Tonmeister und Musikproduzenten und hat seitdem als Tonmeister und Musikproduzent mehr als 200 Alben herausgebracht. Akay ist Begründer des Musikfestivals „Frühling der Kulturen“ in Köln, das 2010 unter der Schirmherrschaft des Kölner Oberbürgermeisters erstmals durchgeführt wurde und seitdem jedes Jahr stattfindet. In vielen Regionen Deutschlands organisiert Hakan Akay multikulturelle Konzerte.